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Gorny & Mosch
Auction 293  6-7 Mar 2023
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Lot 764

Estimate: 200 EUR
Price realized: 1000 EUR
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BYZANTINISCHE BLEISIEGEL. Siegel des 9. Jahrhunderts.
Thomas der Slawe, Gegenkaiser zu Konstantin VI. Zweiseitiges Siegel ø 26mm (21,06g). Ca. 813 n. Chr. Vs.: + CSTAn-TInE + (n auf dem Kopf), Büste von Konstantin mit Krone und Loros. Rs.: + CSTAN-TCS - AST. S invers, Büsten von Konstantins Adoptivsöhnen und Mitkaisern Konstantios und Anastasios mit Kronen in Ornat. Zacos II 1105, 1967 Tafel 138.
Gelbbraune Patina, vz

Ex Sammlung Prof. Dr. Wolfram Weiser; ex Münzzentrum Rheinland Auktion 74, 1992, Los 1089 (dort Reverslegende verlesen); ex Aufhäuser (Lager) Juni 1989.
"C(on)stantine / C(on)stant(i)e et Anast(asie) (per annos m)ul(tos)"; "Constantinus ! / Constantius und Anastasius ! - auf viele Jahre"; - Der Vokativ ist nicht nur auf Kaisersiegeln sehr selten, doch ist ein Siegel mit Aufschrift im Vokativ bekannt; es wurde etwa zur gleichen Zeit verwendet, unter Michael II. mit Theophilos, irgendwann zwischen dem 25. Dezember 820 und dem 2. Oktober 829 (Österreich I, 83ff, 17 Tafel 2).
Das Stück ist wie eine Münze geschlagen, mit Stempeln, die offensichtlich auf 180° gegenständig fixiert waren, aufgesetzt bei 60° (Avers). Vielleicht wird eines Tages ein Solidus aus diesem Stempelpaar gefunden.
Bevor dieses Stück in der Auktion MZ 74 aufgerufen wurde, schritt die Sammlerin Marie Luise Zarnitz zum Auktionator, Wilfried Albrecht, und informierte ihn, dass ihr sigillographischer Berater Werner Seibt das Siegel für falsch hielte und es daher zurückzuziehen sei. Das Stück wurde nicht zurückgezogen (!), fand jedoch keinen Käufer. In einem Aufsatz über gefälschte Siegel schreibt Alexandra-Kyriaki Wassiliou(-Seibt) 2001, 136, zu einem Siegel der Sammlung Theodoridis beiläufig und ohne Abbildung: "Obiges Stück weist eine markante stilistische Ähnlichkeit zu einer anderen Fälschung auf, die am 11. November 1992 in einer Auktion hätte versteigert werden sollen. Auf Grund der mahnenden Reaktion eines international anerkannten Spezialisten für byzantinische Sphragistik wurde es glücklicherweise zurückgezogen. Es wurde als Stück "von großer Seltenheit" angepriesen, weil es angeblich Thomas den Slawen zeige, den Usurpator von 822, der sich gegen Michael II. erhob, weil letzterer seinen einstigen Gönner Leon V. ermordet hatte. Der Begleittext lautet damals wie folgt: "Der Inhaber des Siegels war ein "Kaiser", dem kein Graveur zur Verfügung stand. Das Siegel belegt nunmehr, dass diejenige Überlieferung zutrifft, dass Thomas sich als Constantinus VI. ausgab, der 797 aus der Regierung entfernt worden war. Dazu passt der Revers mit "seinem" Großvater Constantinus V. und "seinem Vater" Leon IV.". - Weder die Autorin noch der "international anerkannte Spezialist" (Werner Seibt) hatten das inkriminierte Siegel jemals in der Hand gehabt. Einziges Argument gegen das Stück ist seine behauptete Ähnlichkeit mit einem Siegel der Sammlung Theodoridis, das Wassiliou (und Werner Seibt) ebenfalls für falsch erklärt hatte(n).
Bei genauer Autopsie stellt sich heraus, dass die bisherige Lesung der Reverslegende unzutreffend ist; es waren nicht Konstantinos V. und Leon IV. gemeint, sondern die beiden Adoptivsöhne und Mitkaiser von Konstantinos, Konstantios und Anastasios. Konstantios wurde ausgesandt, um die letzten beiden kleinasiatischen Themata, die zu Michael II. hielten, zu erobern, wurde jedoch schon 821 von Olbianos, dem Strategen der Armeniaken, besiegt und enthauptet (PMBZ 4056 mit Quellen). Anastasios war mit seinem Kaiser nach Westen mitgezogen und von Dezember 821 bis Dezember 822 Kommandeur der Truppen, die gegen die Verteidiger der Landmauer eingesetzt waren. Nach dem Fehlschlag der Belagerung zog er sich nach Bizya zurück, wurde aber nach dem Ende seines Kaisers ausgeliefert und zu Tode gefoltert (PMBZ 317 mit Quellen).
Allein die Kenntnis der Existenz der Mitkaiser Konstantios und Anastasios war lange Zeit nur auf einen kleinen Kreis von Spezialisten beschränkt und erfuhr erst mit Publikation der einschlägigen Bände des PMBZ, 1999/2001, weitere Verbreitung. Es kann daher so gut wie ausgeschlossen werden, dass ein Fälscher spätestens 1989 dieses Siegel hergestellt haben könnte - es sei denn, nach einem unbekannten Original.
Bislang war unsicher, ob Konstantios und Anastasios gleichzeitig zu Mitkaisern erhoben worden waren oder letzterer erst nach dem Tod des Konstantios. Das vorliegende Siegel bestätigt nunmehr ihre gleichzeitige Erhebung.
Mit der Nennung jener beiden Mitkaiser ist des Weiteren unbestreitbar geklärt, dass der Kaiser auf dem Avers tatsächlich Thomas sein sollte, mit dem Kaisernamen Konstantinos.
Am 25. Dezember 820 war Kaiser Leon V. ermordet worden. Gegen den neuen Kaiser Michael II. erhob sich Thomas, damals wohl Turmarches im Thema der Anatoliken. Patriarch Iob von Antiochia vollzog die Krönung. Aus einem Brief Michaels II. an Ludwig den Frommen ist zu entnehmen, dass Thomas den Kaisernamen Konstantinos angenommen hatte und sich als Konstantinos VI. ausgab (der tatsächliche, geboren am 14. Januar 771, war seit dem 14. April 776 titularer Mitkaiser seines Vaters Leo IV., seit dessen Tod, am 8. September 780, titularer Kaiser, unter Vormundschaft seiner Mutter Irene; er wurde im August 797 auf Geheiß von Irene abgesetzt und geblendet (PMBZ 3704 mit Quellen)). Bald war Konstantinos Herr Kleinasiens, bis auf das Komitat Opsikion und das Thema der Armeniaken. Um Michael II. zu verdrängen, zog er gen Konstantinopel, das er von Dezember 821 bis Dezember 822 belagerte. 823 gelang es Michael II., den Bulgaren-Khan Omurtag zum Eingreifen zu bewegen. Im Mai 823 erlitt Konstantinos die entscheidende Niederlage. Er zog sich ins thrakische Arkadiupolis zurück, wo er bis in den Oktober der Belagerung standhielt, doch wurde er schließlich ausgeliefert und zu Tode gefoltert (PMBZ 8459 mit Quellen).
Der ungemein provinzielle Stil dieses Siegels ist leicht erklärlich. Der neue Kaiser Konstantinos benötigte unbedingt Bulloteria zum Siegeln seiner Anordnungen in Blei, andererseits lag keine der beiden Reichsmünzstätten, in Konstantinopel und in Syrakus, in seinem Reich, und beide Orte waren weit entfernt. So blieb Konstantinos nichts anderes übrig, als sich mit einem derartig provinziellen Bulloterion zufrieden zu geben, selbst angesichts der Probleme, die der graekophone Graveur mit der für Kaisersiegel obligatorischen lateinischen Schrift hatte (zum nasalen "Co(n)stantine" vgl. JÖB 30, 1981, 69, 37 (V. Beševliev)).
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