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Gorny & Mosch
Auction 293  6-7 Mar 2023
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Lot 797

Estimate: 150 EUR
Price realized: 190 EUR
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BYZANTINISCHE BLEISIEGEL. Siegel des 11. Jahrhunderts.
Leon Blangas. Zweiseitiges Siegel ø 23mm (7,62g). Ca. 1070 - 1073 n. Chr. Vs.: + KE R, Θ, - TW CW ΔOV, - ΛEONTI - CTPATH-XΓWX - -.- Rs.: -.- S ANA-ΓPAΦEI - CEΛEVKEI-AC TW RΛA-XΓΓAX - -.- .
Gelbbraune Patina, vz

Ex Sammlung Prof. Dr. Wolfram Weiser; ex Kölner Münzkabinett Auktion 59, 1993, Los 326.
"K(yri)e b(oe)th(ei) to so du(lo) Leonti Stratego / s (= kai) anagraphei Seleukeias to Blagga"; "Herr hilf deinem Diener Leon (dem) Strategos / und Anagrapheus von Seleukeia, dem Blangas"; - Die jeweils untere Zeile ist eingerahmt von je einem X mit Winkelpunkten. Diese seltene Mode zeigen auch Siegel von Theodoros Tzan(t)zes, Synkellos & Metropolit von Herakleia (Laurent V 1, 217f, 306 Tafel 40 = DOC.Seals I 137, 53.8; Coll. Seyrig 171f, 250 Tafel 17). Zur Datierung dieses in den literarischen Quellen nicht vermerkten Erzbischofs ist zu berücksichtigen, dass dieses Erzbistum von spätestens dem 9. November 1071 (Grumel, Regestes III 900) bis mindestens zum 11. April 1082 (Grumel, Regestes III 927) von Metropolites Theophilos geleitet wurde. Theodoros Tzan(t)zes kann also entweder vor dem 9. November 1071 oder nach dem 11. April 1082 Metropolit von Heraklea gewesen sein. Weiteren Aufschluss erlaubt der Vergleich mit Siegeln des Michael An(t)zas, Koiaistor, der im März 1077 als Bestes & Koiaistor bezeugt ist (Laurent II 616, 1112 Tafel 44 = "Antioche, Musée, n. 414" (fehlt in Coll. Antakya); ein weiteres, "Ermitage, M 369", fehlt in Coll. Eremitage I); das Siegel Laurent II 615f, 1111, ohne Abbildung, überliefert außerdem den Hofrang Bestes); das auffallend maskenhafte, massige Gesicht der Muttergottes hat derselbe Graveur ins Bulloterion geschnitten wie bei den Siegeln des Metropoliten Theodor. 1082 ist bereits Georgios, Protoprohedros & Dikaiophylax, als Koiaistor bezeugt (Guilland, Questeur 96). Daher ist wohl die Annahme in Coll. Seyrig, 171f, zutreffend, dass Metropolit Theodor Vorgänger von Metropolit Theophilos war, der seit spätestens dem 9. November 1071 amtierte. Theodors Siegel stammt folglich spätestens aus dem Jahr 1071. Siegel dieser Art gehören daher in die Zeit etwa um 1065/1075.
In Konstantinopel gab es ein Viertel namens "Blaggas", gesprochen "Blangas", beim Eleutherios-Hafen (Janin, Constantinople 325; Coll. Antakya 426 mit Anm. 87: Müller-Wiener 58, 60f), doch stammt der Name vielleicht eher vom mittelgriechischen Wort für "Schimmel" (weißes Pferd) (Seibt, Namen, 5f).
Seleukeia am Kalykadnos, heute Silifke am Göksu, wurde 927/934 zu Thema erhoben (Oikonomides, Listes 350; TIB V 405).
Ein Strategos war Militär-Gouverneur eines Themas, ein Anagrapheus, "Anschreiber", Revisor des Katasters (vgl. S/Z 81). Als Anagrapheis sind eher zivile Finanzmagistrate zu erwarten, etwa die sigillographisch bezeugten Herren Anagrapheis von Seleukeia Leon Spondyles, kaiserlicher Notar des Idikons, um 1025/1050 (S/Z 85f, 2.2.5), oder Iohannes, kaiserlicher Protospatharios & Epi ton Oikeiakon (KMK 53, 1991, 608 = MZ 81, 1995, 1513 = Grün 23, 1998, 294 = MZ 152, 2009, 976).
Bisher sind sieben Strategoi und ein Dux von Seleukeia bezeugt:
- Sulaios, Protospatharios: Zacos/Nesbitt 336f, 705 Tafel 69;
- Michael, basilikos Protospatharios: MZ 93, 1998, 584 = Peus 376, 2003, 1357;
- Balant(...), Patrikios: Österreich I 298;
- Basilios, Patrikios: Österreich I 190;
- Arsakides Apelgariphes, Patrikios-Anthypatos-Bestes: Spink 132, 1999, 112 = CNG 58, 2001, 1504 = Seibt, Armenier, 350 ("um 1050")
- Zacharias Frangos, Bestarches: Lanz 64, 1993, 1016 = MZ 131, 2006, 1010;
- Geleelmos, Magistros & Anthropos des Kaisers: S/Z 92f, 2.3.2. ("1068/1085");
- Petros Libellisios, Bestarches & Dux: Österreich II 250, 257 (später, im November 1068, Dux Antiocheias).
Nur selten sind Magistrate in beiden Funktionen, militärisch wie zivil, nachweisbar. Ein Siegel überliefert Bardas als Protospatharios, Strategos & Anagrapheus von Bulgarien (Zacos/Nesbitt 214, 370 Tafel 39; er ist möglicherweise identisch mit Bardas Karantenos, Protospatharios & Strategos, der ein überaus ähnliches Siegel führte: Coll. Orghidan 71f, 334 Tafel 42). Nachdem das Zarenreich Bulgarien 1018 erobert, befriedet und als Thema eingerichtet worden war, hatte der Militär-Gouverneur Bardas das Kataster des Themas aufzustellen.
Das vorliegende Siegel deutet auf einen ähnlichen Hintergrund, allerdings nicht in offensiver, sondern in defensiver Lage. Bereits 1069, so wurde berichtet, war das Hinterland des Themas Seleukeia von Armeniern besiedelt. Nach der Schlacht von Mantzikert, 1071, rückten die Seldschuken ungehindert nach Westen vor, und anatolische Flüchtlinge strömten unter anderem ins Thema Seleukeia (TIB V 403 mit Quellen). Sozusagen im Windschatten, südlich des Taurus, etablierten sich, vorgeblich in byzantinischen Diensten, tatsächlich aber autark waltende armenische Feudalherren, etwa Apnelgaripes, seit 1072 Fürst von Tarsos, und Philaretos Brachamios, als Domestikos ton scholon tes Anatoles ("Generalfeldmarschall Ost"), zuletzt im eminenten Rang eines Protosebastos (TIB V 62-65). So wird verständlich, dass ein Strategos auch Anagrapheus war, ein General sich um die Revision des sicher ziemlich durcheinander geratenen Themenkatasters zu kümmern hatte, zumal den Strategoi ihre militärischen Aufgaben immer mehr genommen und Dukes / Katepano übertragen wurden.
1085 kam dann auch Seleukeia in die Gewalt des Sultans von Nikaia, Suleiman. Erst nach dem Durchzug der Teilnehmer am Ersten Kreuzzug konnte Kaiser Alexios I. Komnenos, 1081-1118, daran gehen, unter anderem Seleukeia wieder besetzen zu lassen. Er installierte daher 1099/1100 Strategios Strabos als Dux (nicht mehr als Strategos) in Seleukeia (TIB V 403 mit Quellen).
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